Verbände kommunizieren mittlerweile fast alle auch per facebook, twitter oder Instagram. Das ist ein positiver Trend.
Digitale Kommunikation ist ein perfekter Weg, um die Anliegen zu erklären, zu zeigen, Geschichten zu erzählen.
Sehr häufig begegne ich im Rahmen der Beratung bei der Entwicklung einer Digitalstrategie und dabei im Bereich der Implementierung der Kommunikation in digitalen Medien diversen Vorurteilen und Ängsten. Die Angst vor einem shitstorm wird immer genannt.
"Ein shitstorm fällt nicht vom Himmel, er ist im Vorfeld absehbar und kann in sehr vielen Fällen verhindert werden."
"Kommunikationskrisen sind hausgemacht."
Zwei Thesen, die Widerspruch auslösen.
Was ist passiert?
An einem konkreten Beispiel zeige ich auf was bei kritischen Themen notwendig ist, damit aus einer schwierigen Meldung keine Kommunikationskrise wird.
Dabei ist dies ein Beispiel, das exemplarisch ist und das ich immer wieder antreffe bzw das es schon häufig Inder Vergangenheit gab. Die Probleme in der Struktur und in der Kommunikation sind bei allen Verbänden, Ministerien, Parteien, Kommunen, Stiftungen und Organisationen gleich. Das ist einerseits ärgerlich, andererseits können so alle voneinander lernen.
Die Themen, die zurzeit in der Kommunikation schwierig sind, haben in der Regel etwas mit Flüchtlingen, der AfD, alten und neuen Nazis oder der Haltung dazu zu tun.
Die Erfahrung hat die AWO vor gut zwei Jahren ausführlich gemacht. Im Bundesverband und in vielen Gliederungen gab es eindeutige Unvereinbarkeitsbeschlüsse zur gleichzeitigen Mitgliedschaft in der und beruflichen Tätigkeit für die AWO. Zum Beispiel in Bayern, Hessen und Sachsen-Anhalt und in vielen anderen Gliederungen ist dies eindeutig bekräftigt worden.
Die Reaktion der AfD erfolgte umgehend. Auf facebook tobte die Debatte über vermeintliche Berufsverbote, auch überregionale Medien übernahmen dieses wording. Schon damals wurde erst ignoriert und somit den AfD-Anhängern unkommentiert Raum gegeben, dann wurde gelöscht. Das eine ist so umprofessionell wie das andere und führt dann zu einem richtigen shitstorm.
Ja, es wäre in jedem Fall eine engagierte Debatte geworden, aber der shitstorm wäre in dem Ausmaß vermeidbar gewesen.
Deshalb muss jede Debatte, die online zu einem solchen Thema angestoßen wird, mit absoluter Professionalität organisiert werden.
Das sollte auch dem ASB Bundesverband klar gewesen sein.
Die Ablehnung einer Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion nach Durchführung einer Erste-Hilfe-Schulung ist eine Einladung an diese Partei, sich zum Opfer zu stilisieren und vom eigentlichen Thema abzulenken. Eine Strategie, die immer wieder aufgeht, weil leider nicht professionell gearbeitet wird.
Und weil analoge und digitale Kommunikation eben nicht dasselbe sind.
Der ASB bekam eine Anfrage der AfD Bundestagsfraktion und hat diese abgelehnt. Er bezieht sich dabei auf die Werte, mit denen das nicht vereinbar ist. Dazu hat er auf der Bundeskonferenz im Oktober 2018 in Warnemünde eine Resolution verabschiedet. (Bitte ganz nach unten scrollen).
Wie zu erwarten blieb das nicht geheim (soll und muss es ja auch nicht).
Der Umgang damit ist ein Paradebeispiel dafür was alles falsch gemacht werden kann.
Krisenkommunikation vermeiden für Beginner...
1. Überschrift und wording - Frames
Der Bundesverband hat eine Pressemitteilung zum Sachverhalt herausgegeben. So weit, so gut. Aber schon die Headline ist eine Einladung an alle Hater, negativ zu kommentieren. Weil auch die Headline schon negativ formuliert ist.
"Keine Erste Hilfe" (dass da dann noch Kurse steht ist vollkommen egal für die Wirkung) und die AfD in der Headline zu nennen ist doppelt ungeschickt.
Warum nicht "Der ASB steht zu seinen Werten und hilft allen ohne Ansehen der Herkunft etc...." und dann erst im Text der Hinweis, dass man sich über akute Notfallhilfe hinaus, die für alle gilt, Geschäftspartner genau aussucht. Und dass die AfD wegen der Werte des ASB nicht dazu gehören wird. Ein anderer Schwerpunkt führt auch zu einer anderen Debatte. Und lädt vor allem nicht ganz so viele Mitläufer dazu ein, diese Formulierung als Angriffsfläche zu nutzen.
2. Der Post
Die PM mit der wenig hilfreichen Überschrift wird ohne Kommentar auf facebook gepostet. Ich weiß nicht wie oft ich erzähle, dass Pressemitteilungen nicht auf facebook gehören, ich geh damit allen gehörig auf den Zopf. Aber offensichtlich kann ich das immer noch nicht aus meinem Repertoire streichen.
Von mir aus kann die PM in dem Fall (wenn sie denn ne andere Überschrift hätte ...) verlinkt werden. Aber dann muss der post die Geschichte erzählen. Und zwar so, dass alle zustimmend nicken können. Und sich nicht erst mal selber orientieren müssen, um herauszufinden was passiert ist.
Besser: "Wir helfen allen Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Da gibt es keine Ausnahmen. Wir suchen uns aber unsere Geschäftspartner, die nicht in Not sind, selber aus. Vereinigungen, die für Hass und Diskriminierung stehen und somit unseren Werten widersprechen, gehören nicht zu unseren Geschäftspartnern." Die AfD wird gar nicht genannt (darum geht es tatsächlich nur am Rande, es geht ja wirklich um diese Werte).
An dieser Stelle ist es wichtig, kritische Argumente gleich zu entkräften, sodass alle, die darunter kommentieren, immer wieder darauf verwiesen werden können.
3. Kommunikaktion
Dieser Post wurde abgesetzt und danach hat niemand mehr reagiert. Im Gegensatz zu einer Pressemitteilung (die eine einseitige Kommunikation ist) ist Kommunikation in digitalen Medien immer echte Kommunikation im Dialog. Das heißt, dass auf Kommentare reagiert werden muss.
Erstens, um sicherzustellen, dass die Netiquette eingehalten wird, zweitens, damit Trolle nach einer Ermahnung geblockt werden. Und drittens, damit auf ernsthafte Nachfragen und Anmerkungen (und davon gibt es immer eine Menge) auch eine Reaktion stattfindet. Viertens gehört es sich, sich für Zustimmung in Form eines "gefällt mir" zu bedanken. Das sind schließlich diejenigen Kommentare, die die eigene Position unterstützen.
Nach 7 Stunden gibt es 748 Reaktionen und 936 Kommentare. Alles komplett unmoderiert.
Edit nach 16 Stunden - es ist immer noch alles unkommentiert von Seiten des ASB und gänzlich unmoderiert. Im analogen Leben würde das folgende Situation sein: Eine Gruppe lädt zu einer öffentlichen Versammlung zu einem umstrittenen Bebauungsplan ein. Es kommen viele, der große Saal ist voll. Die Einladenden erklären kurz worum es geht und verlassen dann den Saal. Die Anwesenden diskutieren allein.
Was wird wohl das Ergebnis sein? Genau - lautes Geschrei einiger und diejenigen, die an vernünftigem Austausch interessiert sind, verlassen den Saal. Sie verlassen sehr frustriert den Saal und werden wohl in Zukunft nicht mehr kommen.
Wer wird noch wahrgenommen?
Genau das passiert online.
4. Organisation der Kommunikation
Nach kürzester Zeit waren die ersten Reaktionen sichtbar. Um ein Kippen und somit einen shitstorm zu vermeiden ist es notwendig, dass genügend Menschen mit kommentieren.
Was kann getan werden?
Im Vorfeld sollte jeder Verband eine (am besten messenger-) Gruppe einrichten, in die die Bitte um Unterstützung gepostet werden kann. Im o.a. Fall kann das schon vorab geschehen. In akuten Fällen kann dann auch dort um Unterstützung gebeten werden. Diese Gruppe kann aus Hauptamtlichen, Ehrenamtlichen, Mitgliedern etc bestehen. In der Regel braucht man sie nur sehr selten. Wenn sie aber benötigt wird fehlt die Zeit, sie erst einzurichten. Dort können Formulierungen verbreitet, Hintergrundfragen geklärt und so das Netzwerk zur Unterstützung organisiert werden.
Das ist eine Bitte, die ich heute an meine timeline gerichtet habe. So oder ähnlich kann das auch ein Verband an seine Mitglieder schreiben.
Wichtig ist, dass die verschiedenen Möglichkeiten aufgeführt werden. Die Zeit für einen Klick hat wirklich jede Person.
Nebenbemerkung - sowas funktioniert.... Ist also ziemlich simpel.
5. Kommunikation und Stil
Wie entgegnet man am besten negativen Kommentaren?
Es muss eine Mischung aus sachlicher Argumentation, aber auch humorvollen Bemerkungen geben. Das wording, die Frames, die gesetzt werden sollen, müssen vorab geklärt sein.
6. Netiquette und Konsequenz
Jede Seite sollte eine Netiquette haben, in der klar dargestellt wird nach welchen Regeln dort kommuniziert wird.
Letztendlich ist das der öffentliche Tresen, der permanente Infostand oder auch die immer verfügbare Diskussionsgruppe. In allen drei Fällen werden Menschen, die sich nicht benehmen, die trollen oder beleidigen, nicht geduldet. Warum sollen sie online geduldet werden? Nur weil sie sofort laut "Zensur" rufen und andere Trolle darauf einsteigen? Würdet ihr euch eine Diskussionsveranstaltung dauerhaft stören lassen? Eben...
Dasselbe gilt auch für digitale Kommunikation. Dabei geht es mitnichten darum, alle negativen zu Kommentare zu sperren oder zu löschen, das ist der falsche Weg. Es geht schlicht darum, Kommunikation zu ermöglichen. Wer das nicht macht ist selber verantwortlich dafür, dass irgendwann nur noch Trolle und Hater da sind und alle konstruktiven Menschen sich verabschieden. Damit kann man eine Seite kommunikativ dauerhaft lahm legen, Beispiele gibt es genug dafür.
7. Entspannt bleiben
Auch wenn es schwer fällt - nehmt die Dinge nicht persönlich und versucht, sachlich zu argumentieren. Fragt nach. Heute kam ein paar Mal "dann spende ich in Zukunft nicht mehr an den ASB", ich hab nachgefragt wie hoch denn in der Vergangenheit die Spenden waren. Danach kam nix mehr. Das ist ein probates Mittel.
Wenn es ganz arg wird lest die positiven Kommentare und liked diese, kommentiert positiv darauf. Danach geht dann auch die Debatte mit anderen wieder. Trinkt nen Kaffee mit KollegInnen, tauscht euch per chat aus, organisiert, dass euch so eine Debatte nicht auffrisst.
8. Wertet die Situation aus
Atmet erst mal tief durch wenn der Sturm sich gelegt hat.
Und dann wertet aus, was gut gelaufen ist, was nicht so gut gelaufen ist. Was wollt ihr beim nächsten Mal anders machen? Braucht ihr Unterstützung? Schiebt das nicht auf die lange Bank, sonst ist es weg.
Und ihr nutzt die wertvollen Erfahrungen nicht. Das wäre schade.
Spolier - ihr werdet merken, dass ihr für viele aus eurem Verband das Thema aufarbeiten müsst. Weil digitale Kommunikation eben nicht die Verlautbarung einer Pressestelle ist, sondern eine lebendige Debatte, die von vielen geführt wird.
9. Digitalisierung nutzen
Kommunikation in digitalen Zeiten muss eingebettet sein in die digitale Gesamtstrategie eines Verbandes. Für die digitale Kommunikation muss es eine eigene Strategie geben. Spätestens jetzt ist der richtige Moment, dies anzugehen.
Digitalisierung ist zu 80 % Kommunikation, Organisation und Prozess. Wer glaubt, dass mit der Anschaffung von iPads und der Versorgung mit WLan Digitalisierung erledigt darf nochmal nacharbeiten.
Und wer glaubt, dass in digitalen Zeiten Kommunikation genauso läuft wie sie analog lief wird dann mit einem shitstorm wach.
Die richtige Reihenfolge ist Digitalisierungsstrategie der Organisation -> Kommunikationsstrategie -> SocialMediaStrategie.
Im Zweifel ist aber allein eine SocialMediaStrategie besser als keine, so lange es den Rest noch nicht gibt...
10. Es ist für ne gute Sache
Das sehen nicht alle immer gleichermaßen so. Deshalb gibt es auch mal schwierige Momente in der Kommunikation. Im Gegensatz zum Verkauf von Kühlschränken oder Autos geht es bei Verbänden immer um einen gesellschaftlichen Nutzen. Da ist viel mehr Emotion und Engagement in der Debatte. Das ist gut so.
Nutzt es. Für die gute Sache.
xx. Edit
Mittlerweile gibt es mehr als 1000 Kommentare und 1300 Reaktionen per Klick. Von den Reaktionen sind 80% positiv, von den geschriebenen Kommentaren sind eher 80% negativ. Genau das hätte vermieden werden können.
Ihr habt Fragen oder braucht Unterstützung zum Thema Kommunikation in digitalen Zeiten oder Krisenkommunikation oder... ? Dann geht's hier entlang...
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